martedì 29 aprile 2014

Approaching Ernst Jünger: Walter Benjamin and Heinrich Böll on his work and state






1. Walter Benjamin, 1930
Theorien des deutschen Faschismus. 
Zu der Sammelschrift »Krieg und Krieger«. 
Herausgegeben von Ernst Jünger.1)


Léon Daudet, Sohn von Alphonse, selbst ein bedeutender Schriftsteller, Leader der royalistischen Partei Frankreichs, hat in seiner Action Française einmal einen Bericht über den Salon de l'Automobile gegeben, der, wenn auch vielleicht nicht mit diesen Worten, in die Gleichung auslief »L'automobile c'est la guerre«. Was dieser überraschenden Ideenverbindung zugrunde lag, war der Gedanke an eine Steigerung der technischen Behelfe, der Tempi, der Kraftquellen usw., die in unserem Privatleben keine restlos vollendete, adäquate Ausnutzung finden und dennoch drängen, sich zu rechtfertigen. Sie rechtfertigen sich, indem sie auf harmonisches Zusammenspiel verzichten, im Kriege, der mit seinen Zerstörungen den Beweis dafür antritt, daß die soziale Wirklichkeit nicht reif war, die Technik sich zum Organ zu machen, daß die Technik nicht stark genug war, die gesellschaftlichen Elementarkräfte zu bewältigen. Ohne im mindesten der Bedeutung der wirtschaftlichen Kriegs­ursachen zu nahe zu treten, darf man behaupten: der imperialistische Krieg ist gerade in seinem Härtesten, seinem Verhängnisvollsten mitbestimmt durch die klaffende Diskrepanz zwischen den riesenhaften Mitteln der Technik auf der einen, ihrer winzigen moralischen Erhellung auf der anderen Seite. In der Tat, ihrer wirtschaftlichen Natur nach kann die bürgerliche Gesellschaft nicht anders, als alles Technische so sehr wie möglich vom sogenannten Geistigen abdichten, nicht anders, als den technischen Gedanken vom Mitbestimmungsrecht an der sozialen Ordnung so entschieden wie möglich ausschließen. Jeder kommende Krieg ist zugleich ein Sklavenaufstand der Technik. Daß aus diesen und verwandten Befunden alle den Krieg betreffenden Fragen ihre heutige Prägung erhalten, daß sie Fragen des imperialistischen Krieges sind, meint man den Verfassern der vorliegenden Schrift um so weniger ins Gedächtnis rufen zu müssen, als sie Soldaten des Weltkriegs gewesen sind und, was immer man ihnen auch sonst mag bestreiten müssen, unstreitig von der Erfahrung des Weltkriegs ausgehen. Man erstaunt also sehr, schon auf der ersten Seite die Behauptung zu fin­den, daß es »eine nebensächliche Rolle spielt, in welchem Jahrhundert, für welche Ideen und mit welchen Waffen gefochten wird«. Und das Erstaunlichste, daß Ernst Jünger mit dieser Behauptung sich einen Grundsatz des Pazifismus zu eigen macht, unter allen den anfechtbarsten und den abstraktesten. Allerdings nicht sowohl doktrinäre Schablone, als ein eingewurzelter und, an allen Maßstäben männlichen Denkens gemessen, recht eigentlich lasterhafter Mystizismus, steht bei ihm und seinen Freunden dahinter. Aber sein Mystizismus des Krieges und das klischierte Friedensideal des Pazifismus, sie haben einander nichts vorzuwerfen. Vielmehr hat für den Augenblick selbst der schwindsüchtigste Pazifismus vor seinem epileptisch schäumenden Bruder eins voraus, nämlich gewisse Anhaltspunkte am Wirklichen, nicht zuletzt einige Begriffe vom nächsten Krieg.
Gern und mit Nachdruck sprechen die Verfasser vom »ersten Weltkrieg«. Wie wenig es aber ihrer Erfahrung gelungen ist, seiner Realitäten sich zu bemächtigen, von denen sie mit den befremdlichsten Steigerungen als von dem »Welthaft-Wirklichen« zu reden pflegen, beweist die Stumpfheit, mit der sie den Begriff kommender Kriege fixieren, ohne Vorstellungen mit ihm zu verbinden. Beinahe könnten diese Wegbereiter der Wehrmacht einen auf den Gedanken bringen, die Uniform sei ihnen ein höchstes, mit allen Fibern ihres Herzens ersehntes Ziel, gegen welches die Umstände, unter denen sie später zur Geltung kommt, sehr zurücktreten. Verständlicher wird diese Haltung, wenn man sich klar macht, wie sehr die hier vertretene Ideologie des Krieges, gemessen am Stande der europäischen Rüstungen, jetzt schon veraltet ist. Die Verfasser haben sich an keiner Stelle gesagt, daß die Materialschlacht, in der einige von ihnen die höchste Offenbarung des Daseins erblicken, die kümmerlichen Embleme des Heroismus, die hier und dort den Weltkrieg überdauerten, außer Kurs setzt. Der Gaskampf, für den die Mitarbeiter dieses Buches auffallend wenig Interesse haben, verspricht dem Zukunftskrieg ein Gesicht zu geben, das die soldatischen Kategorien endgültig zugunsten der sportlichen verabschiedet, den Aktionen alles Militärische nimmt und sie sämtlich unter das Gesicht des Rekords stellt. Denn seine schärfste strategische Eigenart besteht darin, bloßer und radikalster Angriffskrieg zu sein. Gegen Gasangriffe aus der Luft gibt es bekanntlich keine zulängliche Gegenwehr. Selbst die privaten Schutzmaßregeln, die Gasmasken, versagen bei Senfgas und Levisit. Ab und zu erfährt man »Beruhigendes«, wie die Erfindung eines empfindlichen Fernhörers, der das Surren der Propeller auf große Entfernungen hin registriert. Und einige Monate später dann die Erfindung eines lautlosen Flugzeugs. Der Gaskrieg wird auf Vernichtungsrekorden beruhen und mit einem ins Absurde gesteigerten Hasardieren verbunden sein. Ob sein Ausbruch innerhalb der völkerrechtlichen Normen – nach vorhergehender Kriegserklärung – erfolgt, ist fraglich; sein Ende wird mit dergleichen Schranken nicht mehr zu rechnen haben. Mit der Unterscheidung zwischen ziviler und kampftätiger Bevölkerung, welche der Gaskrieg bekanntlich aufhebt, fällt die wichtigste Basis des Völkerrechts. Daß und wie die Desorganisation, die der imperialistische Krieg mit sich führt, ihn unabschließbar zu machen droht, hat schon der letzte gezeigt.
Es ist mehr als ein Kuriosum, es ist ein Symptom, daß eine Schrift von 1930, die es mit »Krieg und Kriegern« zu tun hat, an all dem vorbeigeht. Symptom derselben knabenhaften Verschwärmtheit, die in einen Kultus, eine Apotheose des Krieges mündet, als deren Verkünder hier vor allem von Schramm und Günther auftreten. Diese neue Kriegstheorie, der ihre Herkunft aus der rabiatesten Dekadenz an der Stirne geschrieben steht, ist nichts anderes als eine hemmungslose Übertragung der Thesen des L'Art pour l'Art auf den Krieg. Wenn aber diese Lehre schon auf ihrem ursprünglichen Boden die Neigung hat, im Munde mittelmäßiger Adepten ein Gespött zu werden, so sind ihre Perspektiven in dieser neuen Phase beschämend. Wer möchte sich einen Kämpfer der Marneschlacht oder einen von denen, die vor Verdun lagen, als Leser von Sätzen, wie sie hier folgen, vorstellen: »Wir haben den Krieg nach sehr unreinen Prinzipien geführt.« »Wirklich gekämpft, von Mann zu Mann und von Truppe zu Truppe, wurde immer seltener mehr.« »Selbst­verständlich haben die Frontoffiziere den Krieg oft recht stillos gemacht.« »Denn durch die Einbeziehung der Massen, des schlechteren Blutes, der praktischen, bürgerlichen Gesinnung, kurz des gemeinen Mannes, vor allem in Offizierskorps und Unteroffizierkorps, sind mehr und mehr die ewig aristokratischen Elemente des soldatischen Handwerks vernichtet worden.« Falschere Töne kann man nicht anschlagen, ungeschicktere Gedanken nicht zu Papier bringen, taktlosere Worte nicht aussprechen. Daß es aber gerade hier den Verfassern so gänzlich mißglücken mußte, darin ist – all ihren Reden vom Ewigen, Urtümlichen zum Trotz – die unvornehme, ganz und gar journalistische Hast schuld, mit der sie des Aktuellen sich zu bemächtigen suchen, ohne Gewesenes erfaßt zu haben. Kultische Elemente des Krieges – ja, es hat sie gegeben. Theokratisch verfaßte Gemeinschaften kannten sie. Und so hirnverbrannt es wäre, diese versunkenen Elemente am Zipfel des Krieges wieder heraufziehen zu wollen, so peinlich mag es für diese Krieger auf der Ideenflucht sein, zu erfahren, wieweit in der von ihnen verfehlten Richtung ein jüdischer Philosoph, Erich Unger, gegangen ist, wieweit die Feststellungen, die bei ihm an Hand konkreter Daten aus der jüdischen Geschichte, gewiß zum Teil mit problematischem Recht, gemacht sind, die hier beschworenen blutigen Schemen in nichts sich verflüchtigen lassen. Aber etwas ins klare zu stellen, die Dinge wirklich beim Namen zu nennen, dazu reicht es bei den Verfassern nicht aus. Der Krieg »entzieht sich jener Ökonomie, welche der Verstand übt; in seiner Vernunft ist etwas Unmenschliches, Maßloses, Gigantisches, etwas, was an einen vulkanischen Prozeß, eine elementare Eruption erinnert ..., eine ungeheure Woge des Lebens, durch eine schmerzhaft tiefe, zwingende, einheitliche Kraft gerichtet, geführt auf Schlachtfelder, die heute schon mythisch werden, verbraucht, für Aufgaben, die den Bezirk des gegenwärtig Faßlichen weithin überschreiten.« So redselig ist ein Freier, der schlecht umarmt. In der Tat umarmen sie den Gedanken schlecht. Man muß ihn zu wiederholten Malen ihnen zuführen und das tun wir hiermit.
Dies ist er: Der Krieg – der »ewige« Krieg, von dem hier soviel gesprochen wird, so gut wie der letzte – sei der höchste Ausdruck der deutschen Nation. Daß sich hinter dem ewigen Kriege der Gedanke des kultischen, hinter dem letzten der des technischen verbirgt, und wie wenig es den Verfassern gelungen ist, deren Verhältnis zueinander ins reine zu bringen, wird deutlich geworden sein. Aber mit diesem letzten Krieg hat es noch eine besondere Bewandtnis. Er ist nicht nur der Krieg der Materialschlachten, sondern auch der verlorene. Damit freilich in ganz besonderem Sinne der deutsche. Den Krieg aus ihrem Innersten heraus geführt zu haben, könnten auch andere Völker von sich behaupten. Ihn aus dem Innersten verloren zu haben, nicht. Das Besondere an der gegenwärtigen letzten Phase jener Auseinander­setzung mit dem verlorenen Krieg, die Deutschland seit 1919 so schwer erschüttert, ist nun, daß gerade sein Verlust für die Deutschheit in Anspruch genommen wird. Die letzte Phase, so darf man sagen, weil diese Versuche, den Verlust des Krieges zu bewältigen, eine deutliche Gliederung zeigen. Sie begannen mit dem Unternehmen, die Niederlage durch ein hysterisch ins Allmenschliche gesteigertes Schuldbekenntnis in einen inneren Sieg zu pervertieren. Diese Politik, die dem untergehenden Abendlande ihre Manifeste mit auf den Weg gab, war die getreue Widerspiegelung der deutschen »Revolution« durch die expressionistische Avantgarde. Dann kam der Versuch, den verlorenen Krieg zu vergessen. Das Bürgertum legte sich schnaufend aufs andere Ohr, und welches Kissen war da weicher als der Roman? Die Schrecken der erlebten Jahre wurden zur Daunenfülle, in der jede Schlafmütze ihren Abdruck leicht hinterlassen konnte. Was nun das letzte Unternehmen, mit dem wir es hier zu tun haben, von den früheren abhebt, das ist die Neigung, den Verlust des Krieges ernster zu nehmen als diesen Krieg selbst. – Was heißt, einen Krieg gewinnen oder verlieren? Wie auffallend in beiden Worten der Doppelsinn. Der erste, manifeste meint gewiß den Ausgang, der zweite aber, der den eigentümlichen Hohlraum, Resonanzboden in ihnen schafft, meint ihn ganz, spricht aus, wie sein Ausgang für uns seinen Bestand für uns ändert. Er sagt: der Sieger behält den Krieg, dem Geschlagenen kommt er abhanden; er sagt: der Sieger schlägt ihn zum Seinigen, macht ihn zu seiner Habe, der Geschlagene besitzt ihn nicht mehr, muß ohne ihn leben. Und nicht nur den Krieg so schlechthin und im allgemeinen, sondern jeden geringsten seiner Wechselfälle, jeden subtilsten seiner Schachzüge, jede entlegenste seiner Aktionen. Einen Krieg gewinnen oder verlieren, das greift, wenn wir der Sprache folgen, so tief in das Gefüge unseres Daseins ein, daß wir damit auf Lebenszeit an Malen, Bildern, Funden reicher oder ärmer geworden sind. Und da wir einen der größten der Weltgeschichte, einen Krieg verloren, in dem die ganze stoffliche und geistige Substanz des Volks gebunden war, so mag man ermessen, was dieser Verlust bedeutet.
Gewiß kann man denen um Jünger nicht vorwerfen, sie hätten es nicht ermessen. Wie traten sie aber dem Ungeheuren entgegen? Sie haben nicht aufgehört, sich zu schlagen. Sie haben den Kultus des Krieges noch zelebriert, wo kein wirklicher Feind mehr stand. Sie waren den Gelüsten des Bürgertums, das den Untergang des Abendlandes herbeisehnte wie ein Schüler an die Stelle einer falsch gerechneten Aufgabe einen Klecks, gefügig, Untergang verbreitend, Untergang predigend, wohin sie kamen. Das Verlorene auch nur einen Augenblick sich gegenwärtig – anstatt verbissen es fest – halten zu wollen, war ihnen nicht gegeben. Sie haben immer zuerst und immer am bittersten gegen die Besinnung gestanden. Sie haben die große Chance des Besiegten, die russische, den Kampf in eine andere Sphäre zu verlegen, versäumt, bis der Augenblick verpaßt war und in Europa die Völker wieder zu Partnern von Handelsverträgen gesunken waren. »Der Krieg wird verwaltet, nicht mehr geführt«, meldet beschwerdeführend einer der Verfasser. Das sollte durch den deutschen Nachkrieg korrigiert werden. Dieser Nachkrieg war im gleichen Maße Protest gegen den ihm vorangegangenen wie gegen das Zivil, dessen Siegel man auf jenem erblickte. Vor allem sollte das verhaßte rationale Element dem Kriege genommen werden. Und gewiß, diese Mannschaft badete in den Dämpfen, die dem Rachen des Fenriswolfes entstiegen. Aber sie konnten den Vergleich mit den Gasen der Gelbkreuzgranaten nicht aufnehmen. Vor dem Hintergrund des Kommißdienstes in Militär-, der ausgepowerten Familien in Mietkasernen bekam dieser urgermanische Schicksalszauber einen fauligen Schimmer. Und ohne ihn materialistisch zu analysieren, konnte auch damals das unverdorbene Gefühl eines freien, wissenden, wahrhaft dialektischen Geistes, wie jener Florens Christian Rang es war, dessen Lebenslauf mehr Deutschheit ausprägt als ganze Heerhaufen dieser Verzweifelten, sich mit bleibenden Sätzen ihnen entgegenstellen. »Die Dämonie des Schicksal-Glaubens, daß Menschen-Tugend umsonst ist, – die finstere Nacht eines Trotzes, der den Sieg der Lichtmächte im Götterweltbrand zerlodert, ... die scheinbare Willens-Herrlichkeit dieses Schlachtentod-Glaubens, der das Leben nicht achtend hinwirft für die Idee, – diese wolkenschwangere Nacht, die uns schon Jahrtausende überlagert und statt Sterne nur Blitze zu Wegkündern gibt, betäubende, verwirrende, nach denen Nacht nur um so dunkler uns stickt: diese grauenvolle Weltansicht des Welt-Tods statt Welt-Lebens, die sich in der deutschen Idealismus-Philosophie das Grauen mit dem Gedanken erleichtert, daß hinter den Wolken ja Sternhimmel sei, – diese deutsche Geistes-Grundrichtung ist zu tiefst willenlos, meint nicht, was sie sagt, ist ein Verkriechen, eine Feigheit, ein Nichtwissenwollen, Nichtleben- aber auch nicht Sterbenwollen ... Denn das ist die deutsche Halbstellung zum Leben: jawohl: es wegwerfen zu können, wenn es nichts kostet, in einem Augenblick des Rauschs, die Hinterbliebenen versorgt, und dies kurzlebige Opfer mit ewiger Gloriole umstrahlt.« Wenn es aber dann im gleichen Zusammenhange heißt: »Zweihundert sterbensbereite Offiziere hätten genügt, in Berlin die Revolution niederzuwerfen – entsprechend an allen Orten –, aber es fand sich nicht einer. Eigentlich hätten ja wohl viele gerne gerettet, aber uneigentlich, das ist wirklich, wollte keiner so sehr, daß er den Anfang machte, sich zum Führer aufwarf, oder als einzelner vorging. Lieber ließen sie sich auf der Straße die Achselstücke abreißen« –, wenn so zu lesen steht, wird denen um Jünger die Sprache vielleicht verwandt klingen. Soviel ist sicher, wer das geschrieben hat, der kennt aus eigenster Erfahrung Haltung und Überlieferung derer, die sich hier zusammengefunden haben. Und vielleicht teilte er solange ihre Feindschaft gegen den Materialismus, bis sie sich die Sprache der Materialschlacht schuf.
Wenn zu Anfang des Krieges der Idealismus von staats- und regierungs­wegen geliefert wurde, so war die Truppe je länger je mehr auf Requisition angewiesen. Immer finsterer, tödlicher, stahlgrauer wurde ihr Heroismus, immer entlegener und nebelhafter die Sphäre, aus denen noch Glorie und Ideal winkten, immer starrer die Haltung derer, die sich weniger als Truppen des Weltkriegs, denn als Vollstrecker des Nachkriegs fühlten. »Haltung« – in all ihren Reden das dritte Wort. Wer würde leugnen, daß die soldatische eine ist. Sprache aber ist der Prüfstein für eine jede und ganz und gar nicht nur, wie man gern annimmt, für die des Schreibenden. Bei denen, die sich hier verschworen haben, besteht sie die Probe nicht. Mag Jünger es den adligen Dilettanten des siebzehnten Jahrhunderts nachsprechen, die deutsche Sprache sei eine Ursprache – wie das gemeint ist, verrät der Zusatz, als solche flöße sie der Zivilisation, der Welt der Gesittung, ein unüberwindliches Mißtrauen ein. Wie aber kann deren Mißtrauen sich mit dem seiner Landsleute messen, wenn man ihnen den Krieg als einen ›mächtigen Revisor‹ vorstellt, der der Zeit ihren ›Puls fühlt‹, ihnen verwehrt, einen ›geprüften Schluß‹ ›auszuräumen‹, ihnen zumutet, ihren Blick für »Ruinen« »hinter dem leuchtenden Firnis« zu schärfen. Aber beschämender als solche Verstöße ist in diesen so zyklopisch gemeinten Gedankenbauten eine Glätte der Fügung, die jeden Leitartikel zieren würde, und peinlicher als die Glätte der Fügung ist die Mittelmäßigkeit der Substanz. »Die Gefallenen«, erzählt man uns, »gingen, indem sie fielen, aus einer unvollkommenen Wirklichkeit in eine vollkommene Wirklichkeit, aus dem Deutschland der zeitlichen Erscheinung in das ewige Deutschland ein.« Das der zeitlichen Erscheinung ist ja notorisch, um das ewige stünde es aber schlecht, wären wir für sein Bild auf das Zeugnis derer, die es so zungenfertig ablegen, angewiesen. Wie billig haben sie das ›feste Gefühl der Unsterblichkeit‹, die Gewißheit, man habe »die Scheußlichkeiten des letzten Krieges ins Fürchterliche gesteigert«, die Symbolik des ›nach innen siedenden Bluts‹ erstanden. Sie haben, besten­falls, den Krieg geschlagen, den sie hier feiern. Wir werden aber einen nicht gelten lassen, der vom Kriege spricht und nichts kennt als Krieg. Wir werden, radikal auf unsere Weise, fragen: Wo kommt ihr her? Und was wißt ihr vom Frieden? Seid ihr in einem Kinde, einem Baum, einem Tier je auf den Frieden so gestoßen wie im Felde auf einen Vorposten? Und, ohne ihre Antwort abzuwarten: Nein! Nicht, daß ihr dann nicht fähig wärt, den Krieg zu feiern, leidenschaftlicher sogar, als ihr tut. Aber ihn zu feiern wie ihr es tut, wäret ihr nicht fähig. Wie hätte Fortinbras für den Krieg gezeugt? Man kann aus Shakespeares Technik darauf schließen. Wie er die Liebe Romeos zu Julien dadurch im Feuerglanze ihrer Leidenschaft enthüllt, daß er den Romeo von vornherein verliebt, verliebt in Rosalinde, darstellt, so hätte Fortinbras mit einem Lob des Friedens, einem so betörend, schmelzend süßen eingesetzt, daß dann, wenn er am Ende seine Stimme für den Krieg erhebt, sich jeder schaudernd eingestehen müßte: Was sind das für gewaltige, namenlose Kräfte, die diesen von dem Glück des Friedens ganz Erfüllten mit Leib und Seele sich dem Kriege angeloben lassen? – Hier nichts davon. Freibeuter von Fach haben das Wort. Ihr Horizont ist flammend, aber sehr eng.
Was sehen sie in seinen Flammen? Sie sehen – hier können wir uns F. G. Jünger anvertrauen – eine Wandlung. »Es gehen Linien seelischer Entschei­dung quer durch den Krieg; der Wandlung des Kampfes entspricht die Wandlung der Kämpfenden. Sie wird sichtbar, wenn man die geschwun­genen, schwerelosen, begeisterten Gesichter der Soldaten des August 1914 mit den tödlich ermatteten, hageren, unerbittlich gespannten Gesichtern der Materialschlachtkämpfer des Jahres 1918 vergleicht. Hinter dem Bogen dieses Kampfes, der, steiler und steiler gespannt, endlich zerspringt, erscheint unvergeßlich ihr Gesicht, geformt und bewegt von einer gewaltigen, geistigen Erschütterung, Station um Station eines Leidensweges, Schlacht um Schlacht, deren jede das hieroglyphische Zeichen einer angestrengt fortarbeitenden Vernichtungsarbeit ist. Hier erscheint jener soldatische Typus, den die hart, nüchtern, blutig und pausenlos abrollenden Material­schlachten durchbildeten. Ihn kennzeichnet die nervige Härte des geborenen Kämpfers, ihn der Ausdruck der einsameren Verantwortung, der seelischen Verlassenheit. In diesem Ringen, das in einer immer tieferen Schicht sich fortsetzte, bewährte sich sein Rang. Der Weg, den er ging, war schmal und gefährlich, aber es war ein Weg, der in die Zukunft führt.« Wo immer man in diesen Blättern auf genaue Formulierungen, echte Akzente, stichhaltige Begründungen stößt, ist es die Wirklichkeit, die hier getroffen, die von Ernst Jünger als total mobilgemachte angesprochen, von Ernst von Salomon als die Landschaft der Front gefaßt ist. Ein liberaler Publizist, der vor kurzem diesem neuen Nationalismus unter dem Stichwort »Heroismus aus langer Weile« beizukommen suchte, hat, das sieht man hier, etwas zu kurz gegriffen. Jener Soldatentypus ist Wirklichkeit, ist ein überlebender Zeuge des Weltkriegs und es war eigentlich die Landschaft der Front, seine wahre Heimat, die im Nachkrieg verteidigt wurde. Diese Landschaft zwingt zum Verweilen.

 Man soll es mit aller Bitternis aussprechen: Im Angesichte der total mobil gemachten Landschaft hat das deutsche Naturgefühl einen ungeahnten Aufschwung genommen. Die Friedensgenien, die sie so sinnlich besiedeln, sind evakuiert worden und so weit man über den Grabenrand blicken konnte, war alles Umliegende zum Gelände des deutschen Idealismus selbst geworden, jeder Granattrichter ein Problem, jeder Drahtverhau eine Antinomie, jeder Stachel eine Definition, jede Explosion eine Setzung, und der Himmel darüber bei Tag die kosmische Innenseite des Stahlhelms, bei Nacht das sittliche Gesetz über dir. Mit Feuerbändern und Laufgräben hat die Technik die heroischen Züge im Antlitz des deutschen Idealismus nachziehen wollen. Sie hat geirrt. Denn was sie für die heroischen hielt, das waren die hippokratischen, die Züge des Todes. So prägte sie, tief durchdrungen von ihrer eigenen Verworfenheit, das apokalyptische Antlitz der Natur, brachte sie zum Verstummen und war doch die Kraft, die ihr die Sprache hätte geben können. Der Krieg in der metaphysischen Abstraktion, in der der neue Nationalismus sich zu ihm bekennt, ist nichts anderes als der Versuch, das Geheimnis einer idealistisch verstandenen Natur in der Technik mystisch und unmittelbar zu lösen, statt auf dem Umweg über die Einrichtung menschlicher Dinge es zu nutzen und zu erhellen. »Schicksal« und »Heros« stehen wie Gog und Magog in diesen Köpfen, ihre Opfer sind nicht allein Menschen- sondern auch Gedankenkinder. Alles Nüchterne, Unbescholtene, Naive, was über die Verbesserung des Zusammenlebens der Menschen erdacht wird, wandert in den abgenutzten Schlund dieser Maulgötzen, die mit dem Rülpsen der 42-cm-Mörser darauf erwidern. Manchmal kommt die Verspannung des Heroentums mit der Materialschlacht die Verfasser ein wenig hart an. Aber durchaus nicht alle und nichts ist kompromittierender als die weinerlichen Exkurse, mit denen hier die Enttäuschung über die »Form des Krieges«, den »sinnlos mechanischen Materialkrieg« laut wird, dessen die Edlen »offenbar müde geworden« waren. Wo aber einzelne es versuchen, den Dingen ins Auge zu sehen, wird am deutlichsten, wie sehr für sie der Begriff des Heroischen unter der Hand sich verwandelt hat, wie sehr die Tugenden der Härte, der Verschlossenheit, der Unerbittlichkeit, die sie feiern, in Wahrheit weniger solche des Soldaten als des bewährten Klassenkämpfers sind. Was sich hier unter der Maske erst des Freiwilligen im Weltkrieg, dann des Söldners im Nachkrieg, heranbildete, ist in Wahrheit der zuverlässige faschistische Klassenkrieger, und was die Verfasser unter Nation verstehen, eine auf diesen Stand gestützte Herrscherklasse, die niemanden und am wenigsten sich selber Rechenschaft schuldend, auf steiler Höhe thronend, die Sphinxzüge des Produzenten trägt, der sehr bald der einzige Konsument seiner Waren zu sein verspricht. Mit diesem Sphinxantlitz steht die Nation der Faschisten als neues ökonomisches Naturgeheimnis neben dem alten, das in ihrer Technik weit entfernt sich zu lichten seine drohendsten Züge herauskehrt. Im Parallelogramm der Kräfte, welches beide – Natur, Nation – hier bilden, ist die Diagonale der Krieg.
Es ist verständlich, daß für den besten und durchdachtesten unter den Aufsätzen dieses Bandes die Frage der »Bändigung des Krieges durch den Staat« entsteht. Denn der Staat spielt in dieser mystischen Kriegstheorie von Haus aus nicht die geringste Rolle. Man wird die Bändigerrolle keinen Augen­blick im pazifistischen Sinne verstehen. Es wird hier viel mehr vom Staate gefordert, den magischen Kräften, die er in Kriegsläuften für sich mobilisieren muß, bereits in seinem Bau und seiner Haltung sich anzupassen und würdig zu zeigen. Es werde ihm andernfalls nicht gelingen, den Krieg seinen Zwecken tauglich zu machen. Das Versagen der Staatsmacht angesichts des Krieges steht für die, die sich hier zusammengefunden haben, am Anfang ihres selbständigen Denkens. Die Formationen, die bei Kriegsende zwitter­haft zwischen ordensartigen Kameradschaften und regulären Vertretungen der Staatsmacht standen, konsolidierten sich baldigst als unabhängige staatslose Landsknechtshaufen, und die Finanzkapitäne der Inflation, denen der Staat als Garant ihres Besitzes fraglich zu werden begann, haben das Angebot solcher Haufen, die durch Vermittlung privater Stellen oder der Reichswehr jederzeit greifbar wie Reis oder Kohlrüben anrollen konnten, zu schätzen gewußt. Noch die vorliegende Schrift ähnelt dem ideologisch phrasierten Werbeprospekt eines neuen Typus von Söldnern oder besser von Kondottieren. Freimütig erklärt einer unter ihren Verfassern: »Der tap­fere Soldat des Dreißigjährigen Krieges verkaufte sich ... mit Leib und Leben, und das ist immer noch edler, als wenn man nur Gesinnung und Talent verkauft.« Wenn er dann freilich fortfährt, der Landsknecht des deutschen Nachkriegs habe sich nicht verkauft, sondern sich verschenkt, so ist das nach Maßgabe der Bemerkung des gleichen Autors über den vergleichsweise hohen Sold dieser Trupps zu verstehen. Ein Sold, der das Haupt dieser neuen Krieger ebenso hart wie die technischen Notwendigkeiten des Handwerks prägte: Kriegsingenieure der Herrscherklasse, bilden sie das Pendant der leitenden Angestellten im Cut. Weiß Gott, daß ihre Führergeste ernst zu nehmen, ihre Drohung nicht lächerlich ist. Im Führer eines einzigen Flugzeugs mit Gasbomben vereinigen sich alle Machtvollkommenheiten, dem Bürger Licht und Luft und Leben abzuschneiden, die im Frieden unter tausend Bürovorsteher verteilt sind. Der schlichte Bombenwerfer, der in der Einsamkeit der Höhe, allein mit sich und seinem Gott, für seinen schwer erkrankten Seniorchef, den Staat, Prokura hat, und wo er seine Unterschrift hinsetzt, da wächst kein Gras mehr – das ist der »imperiale« Führer, der den Verfassern vorschwebt.
Nicht ehe Deutschland das medusische Gefüge der Züge, die ihm hier entgegentreten, gesprengt hat, kann es eine Zukunft erhoffen. Gesprengt – besser vielleicht gelockert. Das soll nicht heißen, mit gütigem Zuspruch oder mit Liebe, die hier nicht am Ort sind; es soll auch nicht der Argumentation, dem überredungsgeilen Debattieren den Weg bereiten. Wohl aber hat man alles Licht, das Sprache und Vernunft noch immer geben, auf jenes »Urer­lebnis« zu richten, aus dessen tauber Finsternis diese Mystik des Weltentods mit ihren tausend unansehnlichen Begriffsfüßchen hervorkrabbelt. Der Krieg, der sich in diesem Licht enthüllt, ist der »ewige«, zu welchem diese neuen Deutschen beten, sowenig wie der »letzte«, von welchem die Pazifisten schwärmen. Er ist in Wirklichkeit nur dies: Die eine, fürchterliche, letzte Chance, die Unfähigkeit der Völker zu korrigieren, ihre Verhältnisse unter­einander demjenigen entsprechend zu ordnen, das sie durch ihre Technik zur Natur besitzen. Mißglückt die Korrektur, so werden zwar Millionen Menschen­körper von Gas und Eisen zerstückt und zerfressen werden – sie werden es unumgänglich – aber selbst die Habitues chthonischer Schreckensmächte, die ihren Klages im Tornister führen, werden nicht ein Zehntel von dem erfahren, was die Natur ihren weniger neugierigen, nüchterneren Kindern verspricht, die an der Technik nicht einen Fetisch des Untergangs, sondern einen Schlüssel zum Glück besitzen. Von dieser ihrer Nüchternheit werden sie den Beweis im Augenblick geben, da sie sich weigern werden, den nächsten Krieg als einen magischen Einschnitt anzuerkennen, vielmehr in ihm das Bild des Alltags entdecken und mit eben dieser Entdeckung seine Verwandlung in den Bürgerkrieg vollziehen werden in Ausführung des marxistischen Tricks, der allein diesem finsteren Runenzauber gewachsen ist.

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1) Krieg und Krieger. Hrsg. von Ernst Jünger. Berlin: Junker und Dünnhaupt 
Verlag 1930. 204 S.



2. Heinrich Böll
FAZ 29.03.1975
Heinrich Böll über Ernst Jünger
Das meiste ist mir fremd geblieben

Es fällt mir nicht leicht, über Ernst Jünger zu schreiben. Ich bin mit mir selbst nie über ihn einig geworden. Diese Uneinigkeit betrifft nicht einmal Ernst Jüngers moralische, sie betrifft eher seine ästhetische Dimension.

Ernst Jünger wäre für mich ein Anlaß, über ein Thema zu meditieren, das ich "Die Ungerechtigkeit des Lesens" nennen würde. Wie wichtig, entscheidend sogar ist es, in welchem Augenblick, in welcher Stimmung, in welcher Autoren- oder Bücher-Gesellschaft man einen Autor kennenlernt. In einer Zeit, in der ich von zwei so absolut gegensätzlichen Autoren wie Dostojewski und Chesterton fast ganz besetzt war, las ich als erstes Buch von Ernst Jünger "Auf den Marmorklippen". Für dieses Buch war einfach kein Platz mehr frei - es geriet in einen Augenblick der Lese-Ungerechtigkeit, in ungerechte Gesellschaft und auf ungerechten Boden. Jahre davor war ich von Leon Bloy und Georges Bernanos besetzt gewesen. Hinzu kommt, daß ich natürlich von Herkunft, Erziehung und Neigung nicht gerade auf Ernst Jünger vorbereitet war.

Und doch hätte es da einen günstigen Einstieg gegeben: Ich hörte die Namen Ernst und Friedrich Georg Jünger zum ersten Mal von Gerhard Nebel, der einmal vertretungsweise für einige Wochen unser Deutsch- und Boxlehrer war. An die Lehrer des Gymnasiums, das ich ein Jahr nach Nebels stürmischen Auftritten absolvierte, erinnere ich mich mit großer Dankbarkeit, auch an Gerhard Nebel.

Ich war in beiden Fächern, die Nebel gab, keine Glanznummer, im Boxen noch weniger als im Deutschen, aber Nebel hatte meine volle Sympathie. Er trug uns damals Gedichte von Friedrich Georg Jünger vor, machte uns auf Ernst Jünger aufmerksam und erklärte uns ziemlich offen, daß die Einführung des Boxens auf deutschen Schulen einem anglophobisch-anglophil gemischten Minderwertigkeitsgefühl der Nazis entsprungen sei. Es gab da zwei rabaukenhafte Nazis unter unseren Lehrern, die beide nicht in unserer Klasse unterrichteten; die anderen Lehrer waren schlimmstenfalls Hindenburgianer, die meisten waren beides nicht: weder Nazis noch deutschnational.

Nebel war schwer zu plazieren. Diese Mischung aus höchster Sensibilität mit einer gewissen Rauhbeinigkeit, etwas Poltrig-Liebenswürdig-Bärenhaftes; dazu war er "strafversetzt"; es wurde geflüstert, er sei Kommunist - zumindest gewesen. Unsere Lehrer ließen uns viel freundliches Entgegenkommen spüren, sie wußten wohl besser, was wir nur ahnten: daß der Krieg bald kommen würde. Gerhard Nebel paßte so gar nicht in diese stille, katholische Schule, die passiven Widerstand ausstrahlte - und ein oder zwei Jahre später von den Nazis aufgelöst wurde -, und doch, das spürte ich, Nebel "gehörte dazu".

Ernst Jünger hatte also gute Empfehlungen, aber erst im Jahre 1939, wenige Monate- oder gar Wochen vor Kriegsausbruch, las ich dann die "Marmorklippen"'. Das Erscheinen dieses Buches war eine Sensation, es galt als das Buch des Widerstandes. Es wurde in unserer Familie diskutiert, ein Freund, begeisterter Jüngerianer, interpretierte es mir, aber ich sprang nicht recht ein und nicht an ... ich war besetzt, vielleicht sogar besessen und wohl ungerecht.

Natürlich erkannte ich den Mut des Autors, aber seine Mystik und seine Symbolik erschienen mir als zu weit hergeholt, die Sprache als zu künstlich-gepflegt. Gegen Bloy und Bernanos, Dostojewski hielt er nicht stand - und da ich gleichzeitig von der katholisierten Eleganz Chestertons beeindruckt war, erschienen mir die "Marmorklippen" als zu "deutsch". Der Ernst Jünger der "Marmorklippen" war mir zu weihevoll, auch zu sehr für Eingeweihte, nicht der moralische Einstieg mißlang, der literarisch-stilistische. Natürlich wußte ich auch, daß dieses Buch in unserer Situation und für diese wichtiger war als meine Lieblingslektüre, und doch: Die erste Annäherung mißlang.

Dem Jünger des "Abenteuerlichen Herzens", das ich während des Krieges las, kam ich schon näher, aber erst später, wohl 1943, als ich in einem Lazarett "In Stahlgewittern" las, fand ich zu meinem eigenen Erstaunen Zugang. Es wurde mir an diesem Buch der Unterschied zwischen dem Soldatischen und dem Militärisch-Militaristischen bewußt gemacht, und gerade weil diese Welt der Stahlgewitter, des Heroischen, der Aktion mir so vollkommen fremd war (und ist), verstand ich zum ersten Mal, was am "Fronterlebnis", das ich bisher nur in der kleinbürgerlichen Angeber-Anekdote kannte (nicht von meinem Vater!), über das Politisch-Geschichtliche hinaus einen Autor wie Ernst Jünger fasziniert haben mußte. Auf dem Umweg übers Exotische konnte ich "verstehen".

Extremer Zivilist, der ich bin und schon damals - auch in Uniform - so deutlich war, daß alle intelligenten Berufssoldaten mich kopfschüttelnd aufgaben, habe ich mich mit Berufssoldaten immer besser verstanden als mit den übereifrigen Reservisten vom meist peinlichen deutschen Oberlehrertyp. Und da ich außerdem nicht nur antipreußisch erzogen und antipreußisch gediehen bin, kann ich mir jetzt, wo es sie nicht mehr gibt, erlauben, die Qualitäten des Preußischen zu erkennen, und so verstehe ich natürlich Ernst Jüngers Klage über den Verfall der deutschen Armee, wenn ich auch keineswegs in diese Klage einstimme.

Ich weiß nicht, ob Ernst Jünger wirklich, wie das Gerücht geht, an der Heeresdienstvorschrift mitgearbeitet hat (wahrscheinlich würden komplizierte kybernetische Instrumente und Berechnungen, mit denen man jetzt Scholochows Nicht-Autorschaft beweisen will, auf die alte Heeresdienstvorschrift angewendet, dienlich sein!), aber wenn Ernst Jünger Mitautor ist, so habe ich den Autor Jünger natürlich auch in diesem Text gespürt und erfahren, denn, was immer sie sonst gewesen sein mag: Präzis war sie, die Heeresdienstvorschrift, deren Inhalt mir aufs äußerste mißfiel, deren formalistischen Rang ich aber erkennen konnte. Der von Literaten konstruierte, von Bürgern leidenschaftlich aufgenommene - wie ich finde - künstliche Gegensatz von der reinen und der engagierten Literatur ist ja auch in Ernst Jünger aufgehoben.

Ich ziehe den subtilen Jäger und Kriegsbuchautor Ernst Jünger dem Erzähler vor. Das Symbolisch-Lehrhafte, mit dem etwas demonstriert werden soll, ist mir auch bei Bert Brecht weniger zugänglich als seine Gedichte. Am Erzähler Jünger fällt mir auf, daß er, als Erzähler, nicht als Person! - so selten mit Frauen umgehen kann; es kommt da manchmal etwas peinlich "Kasinohaftes" hinein.

Was mich an Ernst Jünger in Erstaunen versetzt, ist die (möglicherweise nur scheinbare) Unberührtheit. In manchen langen und offenen Gesprächen mit jungen Leutnants während des Krieges ist mir klar geworden, welche Bedeutung Ernst Jünger für eine, wahrscheinlich für zwei Generationen von Offizieren gehabt hat. Er war ihr Prophet, er war ihr Magier, er war ihr Meister vom Stuhl, und ich hatte - gerade weil mir ihre Denkweise und ihre Existenz so fremd waren - viel Sympathie, die manchmal nahe an Freundschaft herankam, für diese Todeskandidaten.

Das meiste an Ernst Jüngers Werk ist mir fremd geblieben: das Zelebrative, Weihevolle, Eingeweihte. Als mich neulich jemand, wohl provokativ, fragte was ich denn mit Ernst Jünger gemeinsam haben könnte, fielen mir einige (zunächst bloß statistisch) gemeinsame Merkmale ein: Wir sind beide Deutsche, beide deutsche Autoren, wir haben beide am Zweiten Weltkrieg teilgenommen, wir lesen - wie ich, was Ernst Jünger betrifft, den "Strahlungen" entnahm - beide regelmäßig die Bibel und - etwas für einen Zivilisten wie mich absurd Lächerliches, für einen Soldaten aber wichtiges - sogar die Waffengattung haben wir gemeinsam gehabt, und es gibt da "Begegnungen", die ich in den "Strahlungen" entdeckte: als junger Soldat, der sich, wann immer er konnte, Dienstreisen nach Paris erschlich, kaufte ich die mir noch unbekannten Werke und Tagebücher von Leon Bloy, die ich mir in Cafes und Wartesälen entzifferte zur gleichen Zeit, als auch Ernst Jünger in Paris Bloy las.







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